Melatonin und Alter

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Bericht von Univ.Prof. DDr. Johannes Huber – Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und renommierter Experte in der Hormonforschung und Reproduktionsmedizin.

Wie ein winziges Hormon den Körper steuert.

Vieles spricht dafür, dass Altern ein physikalischer Vorgang ist, da z.B. Nervenimpulse Elektronenübertragungen sind. Sie sind einerseits Lebensvoraussetzung, andererseits lösen sie Alterungsprozesse aus. Melatonin, das „Schlafhormon“, wirkt den aktiven Vorgängen des Tages entgegen. Es verlangsamt den Elektronenfluss, reduziert damit Verschleißprozesse und setzt körpereigene Reparaturmechanismen in Gang.

Ein Kraftfahrzeug, das permanent hochtourig benutzt wird, weist früher Schäden auf als ein ökonomisch gefahrenes Auto. Ähnliches gilt auch für den menschlichen Körper: Je länger er auf hohen Touren läuft, umso schneller altert er. Für die hohen Touren ist u.a. Adrenalin zuständig. Das Energiehormon versorgt den Körper mit Kraft, z.B. bei Gefahr, körperlicher Anstrengung oder bei Stress. Das geht mit der Erhöhung des Blutdruckes, der Herzfrequenz und des Zuckerverbrauchs einher. Das Schlafhormon Melatonin wirkt hingegen auf alle Körpersysteme beruhigend, reduzierend, „einschläfernd“. Diese Eigenschaft hat auf vielen Ebenen Auswirkungen auf körpereigene Reparaturmechanismen und damit auf den Alterungsprozess. Aber wie stellt das kleine Molekül das eigentlich an und an welchen Schaltstellen wird es aktiviert? Mit diesen Fragen beschäftigen sich immer mehr Studien – nicht zuletzt, weil für Anti Aging-Strategien das Thema „Hibernisation“ an Bedeutung gewinnt. Darunter versteht man Bestrebungen, biologische Kraftwerke zu drosseln, während sie gerade nicht benötigt werden, Energie zu sparen und damit die Lebensdauer einzelner Organe zu verlängern.

Schlafqualität

Beim Menschen wird das Melatonin in der Epiphyse, der Hirnanhangdrüse gebildet. Verringert sich am Abend die Sonneneinstrahlung, wird diese Information über die Augen an die Epiphyse „gemeldet“. Der Melatoninspiegel steigt an und vermittelt den Prozessen unseres Körpers eine Botschaft: Nachtruhe!

Billionen von Zellen reduzieren in der Folge ihr Energielevel. Der gesamte Organismus schaltet auf „Sparflamme“ und blockiert während der Nachtstunden den Alterungsprozess. Alkohol, Nikotin und verschiedene Medikamente wirken hingegen als mächtige Gegenspieler des Melatonins und verhindern dessen schlaffördernde Wirkung.

Körpertemperatur

Seit langem ist bekannt, dass unterkühlte Organe langsamer arbeiten, dafür aber – selbst wenn der Blutkreislauf unterbrochen ist – länger überleben. Dies ist ein klassischer Hibernisations-Effekt, der z.B. bei Operationen genutzt wird. Melatonin sorgt im Schlaf dafür, dass die Körpertemperatur absinkt. Dieser so genannte „Kühlschrank-Effekt“ verlangsamt die Lebensprozesse und ermöglicht es dem Körper, Reparaturvorgänge zu tätigen. Im Alter sinkt jedoch die Fähigkeit zur Temperaturreduktion – ein Defizit, das in der Medizin bisher zu wenig berücksichtigt wurde. Durch Zufuhr von Melatonin gelingt es, den „Kühlschrank-Effekt“ wieder in Gang zu bringen, insbesondere wenn am Abend nichts mehr gegessen wird.

Herz-Kreislauf-System und Gefäße

Als Gegenspieler des Adrenalins reduziert Melatonin den Stresspegel. Es hat sich gezeigt, dass herzkreislaufkranke Menschen vor allem in der Nacht einen niedrigen Melatoninspiegel aufweisen und dementsprechend einen hohen Blutdruck bzw. andere Herzkreislaufkomplikationen entwickeln. Derzeit laufen klinische Untersuchungen, die nicht nur den Zusammenhang zwischen Melatonin und Stress-System bekräftigen sollen – denn der ist bereits bekannt – sondern die überprüfen, ob bei herzkreislaufgeschwächten Menschen vorbeugend Melatonin eingesetzt werden kann. Das Hormon hat aber noch weitere gefäßprotektive Wirkungen: Es kann freie Radikale, die Zellzerstörung und damit Alterungsprozesse verursachen, aufspüren und eliminieren. Und zwar sogar in besonders feinen Gewebestrukturen im Gehirn oder in Gefäßwänden, wo die größeren Moleküle von Vitamin E, Vitamin C oder Östradiol nicht hingelangen.

Immunsystem

Erst vor kurzem fand man heraus, dass Melatonin in der Lage ist, sich an T-Lymphozyten zu binden und damit deren Aktivität zu beeinflussen. Details dieser weitgehend noch unbekannten immunologischen Funktion werden erst langsam deutlich: Melatonin stimuliert offensichtlich die weißen Blutzellen, damit sie bestimmte Hormone bilden, die für die Blutbildung notwendig sind. Dadurch können zerstörte Blutzellen nachgebildet werden. Wie gut dieser Mechanismus funktioniert, hängt von der Blutkonzentration des Melatonins ab.

Krebs

Unter dem Einfluss von Melatonin teilen sich Zellen langsamer. Das hemmt auch Tumore, die sich durch ein besonders schnelles Zellwachstum auszeichnen. Bei Prostatakrebs kommt noch ein hormoneller Aspekt dazu: Bei der Krebsentwicklung spielt das in den Hoden gebildete Testosteron eine große Rolle. Schon lange weiß man, dass Melatonin das Fortpflanzungssystem bei Männern und Frauen hemmt. Inzwischen hat sich gezeigt, dass Patienten mit Prostatakrebs meist einen deutlich niedrigeren Melatoninspiegel haben als gesunde Männer in der gleichen Alterskategorie. Zwar ist nicht jeder Mann mit hohem Melatoninspiegel vor Prostatakrebs geschützt und nicht jeder mit niedrigem erkrankt. Aber die Tendenz dieses Risikofaktors ist durch zahlreiche unabhängige Untersuchungen verifiziert. Dass beim weiblichen Brustkrebs ein ähnlicher Zusammenhang besteht, wird derzeit nur vermutet, aber es spricht einiges dafür.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Melatonin auf vielfältige Weise Alterungsprozesse im Körper verlangsamt. Zwar sinkt die körpereigene Melatoninproduktion mit dem Alter, aber sie lässt sich auch durch geeignete Maßnahmen ankurbeln. Vor allem der Verzicht auf die abendliche Konsumation von Alkohol und Nikotin scheint für eine intakte nächtliche Melatoninproduktion wichtig zu sein. Auch die Entlastung des Verdauungstrakts während der Nachtstunden („Dinner Cancelling“) und ein Abendspaziergang erweisen sich als förderlich. Darüber hinaus kann die gezielte Einnahme von Melatonin hilfreich sein.